Die Wuerde des Menschen in der Politik

22.03.2010
Pressemitteilung

DENKANSTÖßE/PERSPEKTIVEN. Das Bundesverfassungsgericht hat in den letzten Wochen zwei Urteile von grundsätzlicher Bedeutung verkündet. Es rückte die „Würde des Menschen“ und „Persönlichkeitsrechte“ in den Blick. Sie fand in der folgenden kontrovers geführten politischen Auseinandersetzung nicht die gebotene Beachtung.

Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, das von der großen Koalition entsprechend einer EU-Richtlinie umzusetzen war, ist in Teilen, nicht komplett, nicht für verfassungskonform erklärt worden. Verfechter der Bürgerrechte feierten dies mit Jubelrufen wie Epochal, Klatsche, und ähnliches. Sie feierten dies als einen Sieg zu Gunsten der Persönlichkeitsrechte. Liest man das Urteil sorgfältiger, ist das Gegenteil richtig. Das BVerfG. hat mit seinem Spruch den Weg für eine verfassungskonforme Umsetzung einer europäischen Vorgabe frei gemacht. Der Verfassung entsprach nicht das „Wie“ das Gesetz in Teilen formuliert worden ist. Es waren Fragen der Verhältnismäßigkeit hinsichtlich der Verwendung von Daten.
 
Will die Bundesregierung nicht gegen europäisches Recht verstoßen, kommt es an der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Durchsetzung von Datenspeicherungen nicht vorbei. Das aber lässt noch kontroverse Debatten um Grundrechte der Bürger erwarten, was die Zulässigkeit von Datenspeicherungen betrifft. Dabei werden einerseits der „Schutz persönlicher Freiheitsrechte“ und andererseits die „Wahrung der Sicherheitsinteressen der Bürger“ die anstehenden öffentlichen Debatten um Pro und Contra begleiten.
 
Es wird abzuwägen sein, ob Freiheit mit oder ohne Sicherheit (also Sicherheit vor Gewalt und Terror ohne Datengrundlagen) zu erreichen ist. In dieser Debatte wird es ein Ringen geben um die Grundsatzbegriffe Freiheit – Sicherheit – Datenschutz.
 
Im zweiten Urteil zu Hartz IV erklärt das Gericht gewisse Regelleistungen als nicht verfassungskonform. Daraus in der Öffentlichkeit gezogene Schlussfolgerungen blenden den Kern des Urteils aus. In der Begründung sagt das Gericht lt. Pressemitteilung: "Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums Art. 1 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs.1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind. Dieses Grundrecht hat als Gewährleistungsrecht in Verb. mit Art. 20 Abs. 1 GG neben dem absolut wirkenden Anspruch auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung".
 
Hieraus spricht eine ernste Ermahnung und eine Aufforderung an alle, die derzeit - teilweise emotional - geführte Debatte auf eine sachliche Ebene zu lenken. Der Verlauf der Meinungsäußerungen über das Urteil offenbart die Verlegenheit und Ratlosigkeit, die ein wohl doch als lückenhaft zu bezeichnendes Gesetz mit sich gebracht hat. So manche öffentlich, besonders in Talkshows usw. geäußerten Urteile und Vorurteile über Hartz IV-Empfänger lassen jeglichen Informationswert vermissen und können dem Anspruch auf Achtung der Menschenwürde nicht gerecht werden.
 
 Es mag sein, dass zu dem Kreis der Bezieher solche zu finden sind, die sich als Arbeitsfähige bewusst von der Arbeit fern halten, unsere Sozialgesetze ausnützen, sich kühl rechnend Vorteile erschleichen und sich zu Schmarotzern des Staates herabwürdigen. Hier sind die Kontrollorgane der zuständigen Behörden des Staates gefordert, solche Missbrauchstatbestände resolut aufzudecken. Von diesem Kreis der Bezieher sind die tatsächlich Hilfebedürftigen zu trennen. In Anwendung des Grundsatzes der Subsidiarität trifft auf sie das vom Gericht festgestellte „Grundrecht eines menschenwürdigen Existenzminimums und der Anspruch auf Achtung der Würde jedes Einzelnen zu.
 
Würde des Menschen – was bedeutet uns dieser Begriff heute noch in der Politik?
 
Einen Hinweis darauf findet sich noch immer in der Präambel des Grundgesetzes. „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben“. Im Art. 1 des GG heißt es dann „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“.
 
Das Grundgesetz stellt die Achtung der Menschenwürde an die Spitze unserer Verfassung. Im Bekenntnis zur Unantastbarkeit der Würde des Menschen liegt der Schlüssel zu ihrem einzigartigen Schutz. Darin liegt noch immer die Verpflichtung für die Politik.
 
Die vormodernen Lebensentwürfe von der Schöpfung beziehen sich konsequent auf die Lehre von Gott. Darauf gründet die „Würde des Menschen“. Diese Schöpfung zu bewahren wird in unserer modernen Zeit allerorten politisch gefordert. In unserer fortschrittlich orientierten säkularen Welt ist der Begriff „Würde des Menschen“ kein Kanzelwort mehr, das in Demut Beachtung findet, sondern nur noch als Argument dient, das gegen anderes steht.
 
Es scheint, dass Christen in einem langen Prozess der Anpassung an die Moderne traditionell christliche Positionen geräumt haben und räumen. So bleiben wesentliche richtungweisende Grundsätze der christlichen Soziallehre beiden großen Kirche bei tagespolitischen Entscheidungen ohne Würdigung.
 
Seien wir ehrlich miteinander.
 
In der politischen Debatte wird der in der Verfassung verankerte Bezug auf Gott offensichtlich nur noch als Privatsache gesehen und aus dem staatlichen Handeln herausgehalten. Man denke nur an die unrühmliche Diskussion um die Aufnahme des Gottesbezugs in die Europäische Verfassung. Ebenso an die jetzt neuerlich aufgebrochene Debatte um die Entfernung der Kreuze als Ausdruck christlicher Symbole aus öffentlichen Räumen. So wird der Zusammenhang zwischen Gott und der Würde des Menschen immer mehr aus unserem Sprachschatz verdrängt. Argumente aber, die keinen Inhalt mehr erkennen lassen, nutzen ja nicht wirklich etwas und verheddern sich in einem Reden an der Oberfläche.
 
Vor uns liegt eine gewaltige Aufgabe einer umfassenden Grundsatzdebatte über die künftige Leistungsfähigkeit des Sozialstaates. Sozialpolitik ist sehr vielschichtig und weitreichend. Der Umfang sozialer Leistungsansprüche an den Staat wird weiter wachsen. Der Katalog reicht von Betreuungsmaßnahmen in Kindergrippen und Kindergärten über Schule, Bildung, Kultur und Sporteinrichtungen, Seniorenwohnanlagen, Pflegeheimen, Krankenhäusern und Rettungsdiensten bis zur Existenzsicherung durch den Sozialstaat für jene, die ohne oder von nur minimalem Einkommen leben müssen.
 
Hinzu kommen die vom Staat zu gewährleistenden Sicherheitsmaßnahmen im öffentlichen Verkehr, zur Abwendung von Gewalt und terroristischer Gefahren unter Einbeziehung von Maßnahmen der die Freiheit sichernden Online-Durchsuchung. Dies alles erfordert erhebliche Finanzmittel zur Abdeckung der sozialen Leistungssysteme. Darüber, wie über die Anwendung des Prinzips der Subsidiarität der Staat von Leistungen entlastet werden kann und in welchem Rahmen stärker Eigenverantwortung gefordert werden muss, wird politisch gerungen werden müssen. Das wird unpopuläre Debatten auslösen, die höchste Anforderungen an die inhaltlich politische Argumentations- und Überzeugungskraft stellen. Alle diese Politikfelder tangieren mehr oder weniger die Würdegarantie des Grundgesetzes.
 
Unter diesen Vorzeichen wird sich aller Voraussicht nach die Finanzlage in Deutschland und Europa dramatisch ausweiten. Aus dem Zusammenfallen von schrumpfenden Einnahmen und steigenden Ausgaben wird sich ein wachsendes Defizit und damit ein expandierender Schuldenstand der öffentlichen Haushalte sowie ein höherer Finanzbedarf der Sozialkassen ergeben. In politischen Debatten ist viel die Rede von der nächsten Generation. Das passt ins Bild des fürsorgenden Staates einer Gesellschaft mit zeitlich weit gespannter Wohlfahrtsperspektive.
 
Angesichts fortschreitend wachsender, von nachfolgenden Generationen zu tilgenden Staatsschulden wird drängender denn je die Frage zu beantworten sein: Wie lange kann unser Sozialstaat diese weit gespannte Wohlfahrtsperspektive in Zukunft unter Wahrung des Anspruchs auf Achtung der Würde des Menschen noch durchhalten? Es gähnt ein Loch in der Wohlstandsrechnung.
 
Ein führender Politiker unserer Partei, ein bekennender Christ, sagte über sich ausblickend in dieser schwierigen Ausgangslage: "Wir sind aufgerufen, „in Verantwortung vor Gott und den Menschen“ zu handeln, zu entscheiden,
auch wo uns das Risiko folgenreicher Fehleinschätzungen vor Augen ist. Aber wir wissen uns vor, in und nach allem Entscheiden und Handeln aufgehoben in der Gnade Gottes. Dieses Wissen kann uns Gelassenheit schenken, uns frei machen zur Übernahme von Verantwortung."
 
Mögen diese persönlichen erkenntnisreichen Sätze auch uns in unserem politischen Engagement im Sinne des Propheten Jeremia „Suchet der Stadt Bestes“ bestärken.
 
Mit freundlichen Grüßen
Hans Bleckmann